Wenn wir uns die Frage stellen, wie wir Prozesse der institutionellen Transformation initiieren und gut begleiten können, dann indem wir unsere gesamte Intelligenz und eine konsequente Zukunftsorientierung in unser Methodenset einbeziehen. Wie können wir eine Eben des tiefen gemeinsamen Reflektierens erreichen und eine gute gemeinsame Basis, schaffen um das wirklich Neue entstehen zu lassen? Ein weiteres Thema ist die Frage, wie wir eine innovative Haltung entwickeln können, als Individuen und wie das kollektiv gelingt. Haltung allein löst aber noch keine Handlung aus. In meinem Beitrag gehe ich auf die erforderlichen Bausteine Neugierde, Empathie und Mut ein und erläutere, wie wir mit körperbasierter Arbeit einen neuen Zugang zu unserem „Embidied Knowledge“, zu unserer Körperweisheit erlangen können.
Weshalb gewinnt das Konzept des Embodied Knowledge an Bedeutung?
Das Konzept des verkörperten Wissens betont die Bedeutung von körperlicher Erfahrung und von im Körper gespeichertem Wissen für unsere Wahrnehmung und unser Verständnis für uns selbst und die Welt um uns herum. Es erklärt, wie unser Körper und Geist miteinander verbunden sind und wie wir durch körperliche Erfahrungen neue Einsichten und Erkenntnisse gewinnen können, die auf rein kognitiver Ebene nicht zugänglich sind. Wir erkennen zunehmend an, dass dies eine notwendige Entwicklung ist, um die künstliche Trennung zwischen Körper und Geist zu überwinden.
Früher: Rationalität und Trennung des Gehirns und des Denkens vom Körper
Wo hat diese Trennung ihren Ursprung? In der westlichen Kultur sind wir von Rationalität beeinflusst, und verschiedene Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte haben zur Trennung von Geist und Körper beigetragen und damit auch die Vorstellung einer Trennung des Gehirns und des Denkens vom Körper beigetragen. So etwa durch die Antike griechische Philosophie, die Christliche Theologie, die Renaissance und Aufklärung und die Industrialisierung, den medizinischen und technologischen Fortschritt. Damit verbunden ist die Unterscheidung zwischen Körper und Geist, hinzu kam der Aspekt der Moralität, die Überlegenheit des Denkens und ein mechanistisches Verständnis des Körpers.
Heute: Neurobiologische Forschung zu engen Wechselwirkungen von Körper und Gehirn
Auch wenn wir insgesamt noch sehr wenig wissen, was im Gehirn vor sich geht, so trägt die aktuelle neurobiologische Forschung dazu bei, das Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Körper und Gehirn zu vertiefen und die Vorstellung einer Trennung von Körper und Geist zu überwinden.
Wir wissen heute mehr über das Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Informationen aus dem Körper und der Verarbeitung dieser Informationen im Gehirn.
Wir können durch die Erkenntnisse aus der Forschung zu Emotionen und Gefühlen zunehmend besser verstehen weshalb wir uns so verhalten, wie wir uns verhalten und wie diese komplexen Prozesse in unserem Körper ablaufen.
Wie unterstützt Embodied Knowledge Transformationsprozesse?
1. Für die Schaffung von Veränderungsbereitschaft und für die Entwicklung neuer Perspektiven in Organisationen benötigen wir Ansätze, die auf interdisziplinäres Wissen aufbauen und die unsere gesamte Kompetenz einbeziehen.
2. Die Arbeit mit körperbezogenen Methoden, wie der Systemaufstellung hat in den letzten Jahren einen starken Zuwachs erfahren und ist insbesondere im Bereich der Transformationsprozesse sehr wirksam. Was auch durch Forschung belegt ist.
3. Wir begegnen in Transformationsprozessen zutiefst menschlichen Reaktionen, wie Angst, Unsicherheit, Frustration aber auch Hoffnung. Die Methoden, die wir nutzen, sollten die zugrundeliegenden Emotionen einbeziehen können.
Eine Frage der Haltung
Wir sprechen heute gerne von Mindset und meinen damit unsere innere Haltung, die unser Fühlen, Denken und Handeln beeinflusst. Haltung ist per se nicht positiv oder negativ, sondern neutral. In der Regel wird der Begriff Haltung in einem normativen Kontext verwendet, um die Bedeutung von bestimmten Werten und Überzeugungen zu betonen. Wenn wir von Haltung sprechen, beziehen wir uns auf bestimmte Vorstellungen oder Erwartungen, die wir an eine Person oder an uns selbst haben. Diese Vorstellungen beruhen auf moralischen, ethischen, politischen oder kulturellen Überzeugungen und können von Person zu Person und auch bezogen auf den jeweiligen Kontext oder den Sozialraum unterschiedlich sein.
Was macht eine innovative Haltung aus?
In der Theory U, die von Otto Scharmer am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt wurde und die aus meiner Sicht einer der wenigen ganzheitlichen Ansätze ist, um tiefgreifende Veränderungen umzusetzen, spielen die Prinzipien Open Mind, Open Heart und Open Will eine wichtige Rolle. Ich fasse das knapp mit den Worten Neugier, Empathie und Mut zusammen. Wobei die offene Willenshaltung auch bedeutet, dass man bereit ist sich von alten Gewohnheiten und Denkweisen zu lösen, Neues auszuprobieren und Fehler zu machen. Und hier machen die körperorientierten Methoden, die ein fester Bestandteil der Theory U sind, einen großen Unterschied, einerseits auf der Ebene der Reflexion und der Bewusstmachung und andererseits beim ins Tun kommen. Denn auch das entwickeln von Prototypen ist in dem Sinne eines „mit den Händen Denkens“ eine Form von Körperausdruck. Wir halten noch einmal fest: Eine innovative Haltung ist eine offene, neugierige, mitfühlende und lernbereite Haltung.
Haltungen drücken sich auf individueller und kollektiver Ebene unterschiedlich aus
Wir alle müssen mit der Knappheit der Ressourcen in der Welt und der Endlichkeit des Lebens umgehen. Wir können diesem Umstand mit unterschiedlichen Haltungen begegnen: Mit einer egoistischen, machtbezogenen und angstbezogenen Haltung.
Oder mit einer Haltung, die Knappheit und Endlichkeit in einem anderen Bewusstsein begegnet und gekennzeichnet ist durch: Verbundenheit, kollektive Intelligenz und Vertrauen.
Transformationsprozesse sind ein Balanceakt
Transformationsprozesse sind ein Balanceakt zwischen dem Respekt und der Anerkennung für das Bestehende und dem Wunsch, neue Wege zu finden. In der Theory U wird das Respektieren des Bestehenden als „Ankommen“ bezeichnet, das bedeutet, dass man sich bewusst und offen für das, was bereits existiert und für die Erfahrungen und Perspektiven anderer öffnet. Das Verlernen alter Annahmen und Überzeugungen, die nicht mehr hilfreich sind, wird als „Loslassen“ bezeichnet, das eine wichtige Rolle spielt, um tiefgreifende Veränderungen zu ermöglichen.
Sind wir gemeinsam an diesem Punkt, können wir eine gute Basis schaffen, um im Hier und Jetzt eine wünschenswerte Zukunft im Sinne der Beteiligten und mit den vorhandenen Möglichkeiten zu gestalten.
Wie öffnen wir uns für die Perspektiven anderer? Die Vier Ebenen des Zuhörens
Das Zuhören spielt in der Theory U eine zentrale Rolle. Dabei unterscheidet Otto Scharmer vier Ebenen des Zuhörens, die jeweils eine unterschiedliche Tiefe und Bedeutung haben und sich auf unsere Sprache und letztlich auf unser Handeln auswirken.
1. Downloading / Oberflächliches Zuhören: „Hören was man erwartet oder bereits zu wissen glaubt.
2. Factual Listening / Faktisches Zuhören: Aufmerksames Zuhören zum Wissensabgleich und „Schlagabtausch“.
3. Empathic Listening / Empathisches Zuhören: Aufmerksames Zuhören, das Emotionen und Bedürfnisse des Gegenübers einbezieht und einen Perspektivwechsel ermöglicht.
4. Generative Listening / Schöpferisches Zuhören: Tiefes und lösungsorientiertes Zuhören, das neue Einsichten und Kreativität ermöglicht.
Social Presencing Theater: Verbindung zwischen Körper, Geist und sozialem System
Ein wesentlicher Bestandteil der Theory U ist das Social Presencing Theater. Diese kreative und innovative Methode wurde von Arawana Hayashi, einer Tänzerin, Choreografin und Art of Hosting-Praktizierenden zusammen mit anderen Entwicklern des Presencing Institute am MIT entwickelt. Sie nutzt körperliche Bewegung, um individuelle und kollektive Wahrnehmungen, Muster und Dynamiken in sozialen Systemen zu erforschen.
Die körperorientierten Methoden des Social Presencing Theaters konzentrieren sich auf die Verbindung zwischen Körper, Geist und sozialem System. Mit Körperübungen und Bewegungen wird das Bewusstsein für die physischen Empfindungen und Wahrnehmungen im Körper geschärft.
Social Presencing Theater kann dazu beitragen, eine tiefere Verbindung mit anderen Menschen und dem sozialen System herzustellen, die Fähigkeit zur Empathie und zum Perspektivenwechsel zu stärken. Dafür gibt es ein Set an verschiedenen Modulen und wer einen Eindruck dieser wirkungsvollen und präzisen Methode gewinnen will, kann diese Erfahrung mit der „Stuck Exercice“ ausprobieren. Ich selber habe das Vergnügen mit Arawana lernen zu dürfen und wende diese Praxis in 1:1 Coachings genau so an wie in Gruppenkontexten.
Stuck Excercise: Die Körperwahrnehmung einbeziehen
Die Stuck Exercice, ist ein Basismodul innerhalb des Social Presencing Theaters. In Form eines 4D Mappings können wir auch eindrucksvoll, das Zukunftspotential und die Handlungsmöglichkeiten in Gruppen, Teams oder sozialen Feldern visualisieren und konkrete und vor allem im Hier und Jetzt realisierbare Lösungsschritte entwickeln.
Vom Ablauf her ist die Stuck Exercice sehr einfach. Die ersten Schritte laufen in Stille ab. Im ersten Schritt teilen wir unsere „Stucks“ miteinander. Das sind Situationen, in denen wir buchstäblich „Feststecken“. Das bedeutet, jede Person zeigt ihren Stuck, wir würdigen jeden Stuck mit etwas Zeit der Stille, bis die nächste Person ihren Stuck zeigt.
Dieser erste Stuck wird Skulptur 1 genannt. Es folgt eine kurze Reflexion in der Gruppe über die Skulptur 1.
Im zweiten Schritt geht die erste Person wieder in die Haltung der Skulptur 1 und fühlt sich in die festgefahrene Situation ein, bevor sie dann achtsam den Bewegungsimpulsen ihres Körpers folgt. Bis irgendwann diese Bewegung zum Stillstand kommt. Das ist dann die sogenannte Skulptur 2. Es mag für einige etwas ungewohnt sein, aber es ist wichtig, in dieser Skulptur 2 ein wenig Innezuhalten, bevor es in den Austausch darüber geht.
Wichtige Prinzipien und Grundlagen der Stuck Exercise:
Ein „Stuck“ trägt immer auch eine Lösung in sich.
Ein „Stuck“ wird als Teil eines größeren Systems betrachtet.
Ein „Stuck“ zeigt den natürlichen Weg des Wandels und des Wachstums.
Auch wenn die Stuck Excercise eine Übung aus dem Social Presencing Theater ist, es geht nicht um Theater spielen. Es geht nicht darum etwas darzustellen. Vielmehr soll ein Raum entstehen, in dem sich etwas zeigen kann. Nimm Dir Zeit und lass Dich dabei von Deinem Körper führen. Denke nicht darüber nach was Du zeigen könntest oder solltest. Manipuliere nicht. Spüre in die „festgefahrene“ Situation hinein und nimm wahr, was auftaucht. Vertraue auch bei der Bewegung von Skulptur 1 zu Skulptur 2 auf den Prozess und die Moment-zu-Moment-Erfahrung. Für die Reflexion und den Austausch über Eure Körperwahrnehmungen gilt, nah bei den tatsächlichen Erfahrungen zu bleiben und nicht zu viel zu interpretieren oder zu zerdenken. Teilt Eure Erfahrung in Ich-Form „Ich habe bemerkt, Ich habe gesehen, Ich habe gefühlt“.
Wer die Erfahrung der Stuck Excercise gemacht hat, bekommt eine Idee davon wie wertvoll und wirksam Embodied Knowlegde für die Gestaltung von Transformationsprozessen, einer Innovationskultur oder einer Vertrauenskultur sein kann.
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Beitragsfoto von Hulki Okan Tabak auf Unsplash